
„Ich bin sofort im Zentrum des Geschehens“
„Wir geben neuen Technologien ein Zuhause“ – Interview mit GreenGate-Vorstand Martin Gerwens
Klemmbrett, Zettel und Stift einerseits – Tablet, Smartphone und stationärer PC andererseits. Nach wie vor existieren Checkliste und Dokumentation in der Instandhaltung auch im Industriezeitalter 4.0 analog wie digital. Doch wie geht es weiter, wenn die Durchdigitalisierung von Inspektion, Wartung, Instandsetzung und Reparatur die begrenzten Möglichkeiten analoger Informationsverarbeitung endgültig überwunden hat? Martin Gerwens, Vorstand der GreenGate AG und Lehrbeauftragter an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, skizziert im Interview die Grundzüge smarter Instandhaltungs-Szenarien. Sein Thema sind die neuen Technologien im Kontext digital gestützter Instandhaltung und Betriebsführung: Augmented Reality, Künstliche Intelligenz, Sprachsteuerung und -ausgabe, Mustererkennung und Maschinelles Lernen.
Interview mit GreenGate-Vorstand Martin Gerwens
„Wir geben neuen Technologien ein Zuhause“

Martin Gerwens
Vorstand der GreenGate AG
und Lehrbeauftragter an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg
Die Vordenker haben abgeliefert. Ihr neuer Leitstern sind so genannte smarte Technologien als Goldstandard der digital gestützten Instandhaltung. Datenbrille, Helmkamera und Mikro sind doch das Mindeste, was einen Instandhalter heute ins Feld, an die Maschine, zum Pumpenschacht begleiten sollte. Oder?
Martin Gerwens: Sie sind nach wie vor die absolute Ausnahme, das ist doch klar; wir sind aktuell noch mit der Transformation von Klemmbrett zu Tablet beschäftigt. Das ist die Basis, denn auf Instandhaltungs-Software wie GS-Service bauen die neuen Technologien auf. Sie interagieren mit den Informationen aus unserem System, steuern selbst welche bei, oder nutzen die Daten, zweitverwerten sie und setzen im Zusammenspiel mit anderen Technologien auf unserem System als Plattform auf. Wir geben ihnen quasi ein Zuhause. Wir sorgen für die Kontextualisierung, indem GS-Service die Brücke zur täglichen Instandhaltungspraxis schlägt.

Was ist das heißeste Eisen aktuell?
Martin Gerwens: KI als Sammelbegriff ist ein Riesenthema. Dass KI in Mode ist, hängt unter anderem damit zusammen, dass die Rechenleistung exponentiell gewachsen ist, die Datenverarbeitung selbst erschwinglicher wurde und aus Systemen wie GS-Service einfach viel mehr Daten zur Verfügung stehen als früher noch. Warum sollte man die nicht nutzen? Außerdem kennt KI jeder aus seinem privaten IT-Alltag: siehe Siri als persönlicher Assistent via Sprachsteuerung, siehe Amazon mit seinen Algorithmen, siehe Gesichtserkennung bei Facebook. Das funktioniert alles.
KI ist mehr ein Konzept als eine Technologie: Es geht darum, dass Maschinen menschenähnlich denken, verknüpfen, lernen etc.
Martin Gerwens: Richtig ist, dass KI mit Leben gefüllt werden muss. Machine Learning ist einer der Motoren von KI. Ein Beispiel: Ein Forschungs- und Kooperationspartner der GreenGate AG wertet die technischen Daten von einzelnen Photovoltaikanlagen über selbst entwickelte Algorithmen aus und versucht darüber Tendenzen abzuleiten: Wann kommt es zu Störungen? Wann sind Bedingungen so schlecht, dass ein Wartungsteam ausrücken muss? Das System wird von Auswertung zu Auswertung klüger und klüger. Aktuell noch werden die Anwender zum Beispiel per SMS informiert. Perspektivisch aber landet diese Information direkt bei uns im System. So bekäme das Instandhaltungsteam neben der Benachrichtigung direkt eine validierte Checkliste mit Angaben, was zu tun ist und welche Messwerte zu erfassen sind. Dazu gäbe es noch eine Materialliste zum Auftrag. Und das Ganze ohne Systembruch. Denkbar wäre sogar bidirektionales Lernen: Die ML-Software verarbeitet bei der Mangelbehebung in GS-Service angefallene Daten aus den Checklisten beispielsweise, GS-Service wiederum optimiert festgelegte Workflows für Wartungsanleitungen, Materiallisten, Angaben zu Equipments auf Basis der empirischen Erkenntnisse und der daraus abgeleiteten Schlüsse – Prognosemodelle – aus dem Machine Learning-System.
Was lernen wir daraus?
Martin Gerwens: Die Lösung wird nicht in einer einzelnen Disziplin, sondern in einer smarten Verknüpfung der einzelnen Qualitäten der jeweiligen Disziplinen liegen.
Gibt es dafür weitere Einsatzszenarios?
Martin Gerwens: Nehmen wir die Technologien Sprachsteuerung und GIS bzw. GPS in Kombination mit unserem Instandhaltungssystem GS-Service. Ein Mitarbeiter fährt raus zur Schachtkontrolle. Da er hierbei meist beide Hände braucht, nutzt er nicht das Tablet, sondern über Mikro und Kopfhörer die Sprachausgabe bzw. Sprachsteuerung. Durch die Kopplung mit dem GIS und GPS wird ihm vor Ort via Sprachausgabe genau angesagt, welcher der Schächte überhaupt zur Kontrolle ansteht und via Spracheingabe diktiert er seine Ergebnisse direkt in das System. Besonderheit hier ist die Mensch-Maschine-Interaktion, ohne dass der Benutzer etwas Eintippen oder ein elektronisches Gerät bedienen muss.

Wie genau hat man sich das vorzustellen?
Martin Gerwens: Der Instandhalter hebt den Schachtdeckel hoch und das System sagt: „Prüfe Steigeisen im Schacht“ und „Überprüfe den Kanal auf Rattenbefall“. Der Servicetechniker gibt im Idealfall zurück: „Steigeisen i.O.“ und „Kein Rattenbefall“. Deckel zu. Fertig. Weiter.
Eine weitere Möglichkeit der Identifizierung von Objekten und der anschließenden Aufgabensteuerung durch das System ist der Einsatz von Helmkamera, Datenbrille oder Smartphone.
Martin Gerwens: Da existieren mehrere Möglichkeiten. Der Instandhalter kann zum Beispiel den Bar- oder QR-Code scannen, der direkt vor Ort angebracht ist. Das System gibt dann die Informationen zum Beispiel aufs Smartphone oder Tablet aus. Optional scannt man mit Datenbrille, Helmkamera oder Smartphone den Raum, das System identifiziert dabei die Objekte und reichert sie mit Informationen an, an die man über den Info-Punkt auf dem virtuellen Abbild herankommt. Mit allen Infos zur Infrastruktur vor Ort, zur Historie, zu Checklisten etc. Es ist also die Kopplung verschiedener Daten, die den Einsatz neuer Technologien so vielversprechend macht. Man ist sofort im Zentrum des Geschehens. Hier gilt dann auch das Wort von der Faust, die mehr Kraft hat als die Summe fünf einzelner Finger.
Was ist der eigentliche Benefit?
Martin Gerwens: Die Instandhaltung wird damit weit effektiver und effizienter. Noch ein Beispiel: Man geht bei der Inspektion der Maschinen und Anlagen nicht mit dem Klemmbrett, sondern mit einer Datenbrille, Mikro und Kopfhörer durchs Unternehmen. Ähnlich wie beim 3D-Laserscanning werden ganze Räume über Punktwolken aufgebaut, Marker gesetzt und damit Informationen gesteuert. Systemseitig wird nach der Erkennung der Objekte die Information auf den Kopfhörer ausgegeben, dass man vor der und der Maschine steht. Dann kann die Sprachsteuerung bzw. Sprachausgabe starten. Entweder, damit direkt vor Ort repariert, gewartet oder der Mangel erfasst werden kann.
Wie erfolgt die Dokumentation?
Martin Gerwens: Man nimmt neben der Sprachnachricht, die das System in valide Informationen umsetzt, noch ein Bild oder Video auf, fertig. Das würde der Philosophie entsprechen, dass die relevanten Daten im Tun und Handeln automatisch generiert werden. Im Idealfall ohne Systembruch. Die Dokumentation erfolgt also nebenbei.
Die Muster- bzw. Bilderkennung beschränkt sich unterdessen nicht auf Equipments und technische Plätze im industriellen Umfeld oder Infrastrukturen im Netzbetrieb.
Martin Gerwens: Visuelle Verfahren sind prädestiniert für die automatische Erkennung von Ersatzteilen. Das betreffende Teil im Rahmen der Reparatur scannen, und dann erfolgt mit dem Systemabgleich die eindeutige Identifikation und gleichzeitig die Suche in der Lagerliste. Das wäre perfekt.
Wie bereits eingangs thematisiert: Noch sprechen wir im Feld über theoretische Möglichkeiten und erste praktische Anwendungen, beispielsweise mit dem AR-System von ar:met oder den Machine Learning-Lösungen von Mondas. Wann rechnen Sie mit dem breit angelegten Einsatz der neuen Technologien?
Martin Gerwens: Man sagte früher, dass solche Umbrüche eine Generation von Planern und Entwicklern brauchen, um Raum zu greifen. Als Schablone diente da gern die Geschichte der Elektrifizierung der Industrie. Wie im Dampfmaschinen-Zeitalter hat man seinerzeit die ersten, riesigen Riesen-Elektromotoren mittig in der Fabrik angeordnet. Es brauchte gut 25 Jahre, bis man dazu überging, die Fabriken neu zu organisieren, und zwar um den Warenstrom herum und nicht um die Kraftquelle. Das dürfte bei der IT und den neuen virtuellen Technologien aber noch schneller ablaufen. Ich rechne schon in wenigen Jahren mit dem massiven, breit gestreuten Einsatz neuer Technologien.

Weil die Innovationszyklen weit schneller als früher verlaufen?
Martin Gerwens: Ja, wobei die Etablierungs-Phasen des neuen Paradigmas die immer gleichen Muster aufweisen. Zuerst entsteht ein großer, auch medialer Hype. Dann wird es nach den ersten praktischen Rückschlägen ruhig um die neuen Lösungen. Dann laufen die ersten Pilotprojekte in der Realwirtschaft an und erst dann greifen die Konzepte marktweit.
Was heißt das jetzt: Warten oder starten?
Martin Gerwens: Wir empfehlen, das anzuwenden, was zweifelsfrei Sinn macht. Speziell unsere Web-Anwendung GS-Web bringt alles mit, um Techniken wie Machine Learning, Bilderkennung und Augmented Reality heute schon sehr produktiv in die tägliche Arbeitspraxis einzubinden.

"Visuelle Verfahren sind prädestiniert für die automatische Erkennung von Ersatzteilen."
Martin Gerwens, Vorstand der GreenGate AG

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